Betriebsbücher » 55 2567 - kein Mysterium wie bei DSO

Zur vormals polnischen Tp4-Lokomotive 55 2567 (zweite Nummernbesetzung) gibt es seit Tagen auf Drehscheibe-Online einen Beitrag von Lothar Behlau.

Siehe hier: Drehscheibe-Online http://www.drehscheibe-online.de/foren/read.php?17,6936358

Ich möchte dem Autor Behlau wirklich nicht zu nahe treten und auch nicht belehrend wirken, aber es fehlen leider die notwendigen Grundlagen, das Thema fachgerecht darzustellen. Um die Fragen rund um Rahmen und Kessel vormals polnischer Lokomotiven behandeln zu können, ist Hintergrundwissen aus der Zeit 1920 bis 1941 notwendig.

Am 31.07.1920 erfolgte die erste Erfassung der Lokomotiven im neu entstandenen polnischen Staatsgebiet. Aber auch nach diesem Stichtag veränderten sich die Bestände im Gefolge der politischen Ereignisse bis 1922 noch erheblich. Es würde jetzt zu weit führen, Einzelheiten hierzu darzustellen, dann dies hieße ein kleines Buch schreiben. Wann die Umzeichnung der polnischen Lokbestände wirklich begann und wie lange sie sich hinzog ist bis heute nicht geklärt. Auch wissen wir immer noch nicht, welche neu erbauten Lok bis etwa 1922....1924 noch die alten sogenannten Zwischennummern oder gar nach wie vor österreichische Nummern besaßen. Die ersten mir bekannten Umzeichnungsdokumente sind:

25.02.1922 erster provisorischer Umzeichnungsplan der preußischen P8
18.03.1922 erster provisorischer Umzeichnungsplan der preußischen G10
01.06.1922 erster Umzeichnungsplan vormals deutscher, österreichischer und russischer Lok
15.02.1926 zweiter Umzeichnungsplan vormals deutscher, österreichischer und russischer Lok
und der wohl wichtigste, weil zugleich Kesselinventarverzeichnis
17.04.1928 letzter Umzeichnungsplan vormals deutscher, österreichischer und russischer Lok

Der erste und zweite Umzeichnungsplan liegt mir nur fragmentarisch und aufgeschlüsselt auf Gattungen vor, Einzelnummernverzeichnisse und Lieferdaten bzw. Kesseldaten fehlen. Der letzte (dritte) Plan vom 17.04.1928 war über 20 Jahre Anlaß, die Wogen unter den Lok-Nummernfans oft hochschlagen zu lassen. Immer wieder wurde Unsinn erzählt, einen solchen Plan gäbe es nicht, die enthaltenen Angaben würden nicht stimmen oder wären frei erfunden usw. usw. Inzwischen liegt mir ein gedrucktes Original-Exemplar aus der Sammlung Konstantin Smironow (Lemberg) vor. Das Verzeichnis ist meines Erachtens fast fehlerfei, aber es schleppt hunderte Karteileichen mit, etwa Lok der preußischen Gattung S1 und P3, die schon 1924 vollständig verschwunden waren.

Am 14.02.1941 und am 23.08.1941 wies des Reichsverkehrsministerium Berlin (RVM) unter Aktenzeichen 31 Fen 106 die Umzeichnung der ehemaligen polnischen Regelspurdampflok an. Das Verzeichnis liegt mir als Kopie vor. Wenn Herr Behlau sich jetzt zur These versteigt, das Verzeichnis wäre grundsätzlich abzulehnen, da falsch, kann ich nur mit dem Kopf schütteln. Wie gelangt er zu dieser These? Offensichtlich nur deshalb, weil ihm die inneren Zusammenhänge fehlen. Die Umzeichung wurde schließlich am 29.08.1941 durch das Reichsbahn-Zentralamt (RZA) Berlin unter Aktenzeichen RZA 2339 Fkldau (Fkldau = Fahrzeuge, Konstruktion, Lok, Dampflok, allgemeine Angelegeheiten, Umzeichnung) in einen bürokratischen Akt (Umzeichung von Lok) umgesetzt.

Erst am 20.11.1944 wurde zu diesem Plan eine Ergänzung betreffend Beutelok aus Russland in Berlin-Fischerhütte erstellt, der bis 1945 (!) immer wieder Erweiterungen erhielt, bis hin zu telegrafischen Einzelverfügungen. Viele dieser 1944 angewiesenen Umzeichnungen auf Reichsbahn-Nummer sind in praxi allerdings nicht mehr ausgeführt worden.

Meine Darstellung ist insofern wichtig, als der Leser ansonsten nicht versteht, wie bei Behlau'schen Ausführungen vom Kopf auf die Füße zu stellen sind.

Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch das Wissen um die Tatache, dass bei den Polnischen Staatsbahnen PKP eben nicht der Rahmen, sondern der Kessel der Träger der Identität einer Lok ist. Es hat zwar immer auch Ausnahmen abseits dieser Regel gegeben, aber in Polen wurden "die Rahmen unter den Kesseln weggetauscht". Solche Rahmentausche kamen im Zeitraum 1922 bis 1939 ja sogar noch 1940 und später vor (unter Regie der Gedob Krakau), es gab sie recht häufig, aber sie haben ein gemeinsames Merkmal: Im Tauschkreis der Rahmen tauchen immer nur solche aus den PKP-Beständen aber niemals solche aus Beständen der Deutschen Reichsbahn auf. Ein schlüssiger Beweis dafür, dass nur innerhalb der PKP in den Jahren 1922 bis 1939 ggf. noch bis 1941 getauscht worden sein kann.

Betrachten wir nun die von Herrn Behlau aufgezeichneten Betriebsnummern einzeln. Die von mir nachfolgend genannten Rahmendaten sind mit den von Ingo Hütter genannten völlig identisch und passen ohne jeden Zweifel auch zur PKP-Umzeichnung der Jahre 1922 bis 1928.

PKP Tp4-29 55 2567 II. ex. Posen 4906 Schichau 1913/2116
PKP Tp4-56 55 2625 II. ex. Bromberg 4889 Schichau 1914/2234
PKP Tp4-167 55 3705 II. ex. Oppeln 5218 Orenstein 1916/8109
PKP Tp4-185 55 2903 II. ex. Münster 5324 Hanomag 1916/8100
PKP Tp4-252 55 3714 II. ex. Erfurt 5258 Wolf-Hagans 1917/886

Damit hätten wir zunächst zweifelsfrei die Umzeichung der Lok von preußischer auf polnische Nummer geklärt.

Alle 5 Maschinen erscheinen natürlich auch im Umzeichnungsplan und Kesselinventarverzeichnis vom 17.04.1928, von ihnen haben damals bereits 2 Lok Tauschkessel:

PKP Tp 4-185 Kessel Wolf-Hagans 1917/886
PKP Tp 4-252 Kessel Jung Jungenthal 1919/2964

Es sei nun dahingestellt ob diese Kessel schon zu preußischer Zeit auf diese Lok kamen oder nicht. Ohne jetzt nochmals mit großem Aufwand nachzusehen zu müssen, dürften alle Kesseldaten wie 1928 auch im Kesselinventar-Verzeichnis der PKP von 1936 unverändert enthalten sein.

Im Umzeichnungsplan von 1941 erscheinen nur die Lok Tp 4-29, 56 und 185. Die beiden anderen (167 und 252) waren 1939 in den Bestand sowjetischer Eisenbahnen übergegangen und wurden erst ab 1941 von der Wehrmacht im Gefolge des Russlandfeldzuges erbeutet. Über ihr Schicksal bis Kriegsende liegen kaum verwertbare Unterlagen vor. Im Plan von1941 stehen die Lok Tp 4-29 und Tp 4-56 ganz so wie im Plan von 1928. Lediglich Tp 4-185 erscheint dort nicht mit Kessel Wolf-Hagans 886 sondern (richtig) mit dem ursprünglichen Rahmen Hanomag 1916/8100. Da mir Richtlinien zum Erstellen der Umzeichnungsunterlagen von 1941 nicht bekannt sind, gehe ich davon aus, dass man aufgefundene Betriebsunterlagen aber auch Sichtungen an den Lok selbst heranzog.

Die von Herrn Behlau anhand der Werkkarte aufgezeigte 55 2567 hat also richtig immer den Kessel Schichau 1913/2116 besessen. Wenn die Karte nun aber den Rahmen Schichau 1914/2234 von PKP Tp4-56 zeigt, dann verwundert mich dies keineswegs. Es war wie beschrieben halt Praxis bei den PKP, die Rahmen unter dem Kessel - dem Identitätsträger - hinweg zu tauschen.

Anschließend möchte ich das Betriebsbuch der 55 2567 II. darstellen, da es leider das einizige der 5 erwähnten Lok ist, dass ich aus meiner Sammlung aufbieten kann. Es wurde wohl 1941 erstellt und gibt schon damals den Rahmen Nummer 2234 an, was einen Rahmentausch etwa im OAW Lemberg bei L 4 im Jahre 1943 ausschließt. Das Betriebsbuch befindet sich im Archiv des Verkehrsmuseums Nürnberg und ist für jedermann einsehbar.

 
Betriebsbuchauszug der Dampflokomotive 55 2567 II.:
===================================================
          Schichau Elbing 1913/2116
 
Anlieferung:       ..........
Abnahme:           ..........
Gen-Urkunde:       29.09.1943   Lemberg
 
Vormals PKP Tp 4-29, vormals preußische G 8.1 Posen 4906.
Im deutschen Betriebsbuch als Hersteller Schichau Elbing 1914/2234 genannt. Lok hat sehr 
vermutlich zwischen 1922 und 1940 Rahmentausch. Möglicherweise infolge Fehlen eines 
Rahmenschildes auch Lieferdaten des Tenders angegeben. Lok ist nicht genormt, hat keinen 
Kipprost, keine Marcotty-Feuertür, keine elektrische oder Gasbeleuchtung. Lok hat 
Druckluftbremse Bauart Knorr ohne Zusatzbremse und ohne G/P-Wechsel und 
Spindelhandbremse, zweistufige Luftpumpe Bauart Knorr (alte Ausführung), zwei 
Dampfstrahlpumpen und bis 1940 keinen Vorwärmer.
 
01.06.40 – 27.07.40   Raw Gleiwitz Lokwerk  L 3 m.W.
 
10.02.41 – 02.08.41   Bw Strzemieszyce
02.08.41 – 09.08.41   Raw Gleiwitz Wabt.Kattowitz  L 0
10.08.41 – 31.10.41   Bw Strzemieszyce
31.10.41 – 26.11.41   Raw Gleiwitz Wabt.Kattowitz  L 2
27.11.41 – 09.02.42   Bw Strzemieszyce
12.02.42 – 17.02.42   Raw Gleiwitz Lokwerk  L 0
18.02.42 – 19.02.42   Raw Gleiwitz Wagenwerk  L 0
28.02.42 – 12.05.42   Bw Skarzysko-Kamienna
13.05.42 – 31.05.42   Bw Skarzysko-Kamienna  L 0
01.06.42 – 02.06.42   Bw Skarzysko-Kamienna
03.06.42 – 07.07.42   OAW Warschau-Praga  L 0
08.07.42 – 01.09.42   Bw Skarzysko-Kamienna
02.09.42 – 05.11.42   Bw Lemberg-West
06.11.42 – 19.11.42   OAW Lemberg  L 0
20.11.42 – 26.01.43   Bw Lemberg-West
27.01.43 – 29.01.43   OAW Lemberg  L 0 (L 1)
 
01.03.43 – 10.04.43   Bw Lemberg-West
11.04.43 – 06.06.43   OAW Lemberg  L 4
07.06.43 – 08.08.43   Bw Lemberg-West
09.08.43 – 09.08.43   Bw Lemberg-West  L 0
10.08.43 – 28.12.43   Bw Lemberg-West
29.12.43 – 29.12.43   Bw Lemberg-West  L 0
30.12.43 - 18.01.44   Bw Lemberg-West
19.01.44 – 31.01.44   OAW Lemberg  L 0
01.02.44 - ........   Bw Lemberg-West
14.10.44 – 27.10.44   Raw Stendal  L 2
28.10.44 – 09.11.44   Bw Stendal
10.11.44 – 23.12.44   Bw Hagen-Eckesey
24.12.44 – 28.03.46   Bw Düsseldorf-Derendorf
29.03.46 – 09.05.46   Raw Mülheim-Speldorf  L 0
10.05.46 - ........   Bw Düsseldorf-Derendorf
06.06.46 – 11.06.46   Bw Düsseldorf-Derendorf  L 0
........ - ........   Bw Düsseldorf-Derendorf
26.07.46 – 06.08.46   Bw Düsseldorf-Derendorf  L 0
........ - ........   Bw Düsseldorf-Derendorf
 
           03.02.47   abgestellt
           11.03.47   Z-Lok
           13.12.51   ausgemustert
           04.02.52   zerlegt (wo?)
 
Kesselverzeichnis:
Hersteller  F-Nummer  Jahr  Einbautag  zuletzt eingebaut in
 
Schichau       2116   1913  ......13   neu mit Lok
 
Alle Ausbesserungen und Untersuchungen wie Lok.
 
Kesselstammbuch:      Schichau Elbing 1913/2116
 
........ - ........   55 2567 II.  (?)
 
Tenderstammbuch:      ohne Herstellerabgaben, nur Nummer 17C1-34
 
........ - ........   55 2567  ( ? )
25.12.49 - ........   57 1974  ( ? )
07.07.50 - ........   57 1650  ( ? )
15.09.50 - ........   57 2424  ( ? )
 
02.08.41 – 09.08.41   Raw Gleiwitz Wabt.Kattowitz  L 0
31.10.41 – 26.11.41   Raw Gleiwitz Wabt.Kattowitz  L 2
12.02.42 – 17.02.42   Raw Gleiwitz Lokwerk  L 0
03.06.42 – 07.07.42   OAW Warschau-Praga  L 0
06.11.42 – 19.11.42   OAW Lemberg  L 0
11.04.43 – 04.06.43   OAW Lemberg  L 4
19.01.44 – 31.01.44   OAW Lemberg  L 2
14.10.44 – 27.10.44   Raw Stendal  l 2
29.03.46 – 09.05.46   Raw Mülheim-Speldorf  L 0
Keine weiteren Ausbesserungen und Untersuchungen im Buch!
 
Bauartänderungen:
 
27.02.40 Raw Glweiwitz L Achs- und Stangenlager mit WM 80 versehen,
                         Vorwärmeranlage Bauart Knorr angebaut, Hülsenpuf-
                         fer Bauart Siegen mit Ringfeder angebaut, Zusatz-
                         bremse und Notbremsventil angebaut
17.02.42 Raw Gleiwitz L zweite Dampfstrahlpumpe angebaut, Vorwärmeranlage
                         abgebaut
19.02.42 Raw Gleiwitz W  Frostschutzausrüstung angebaut
19.11.42 OAW Lemberg     endgültige Frostschutzausrüstung angebaut
27.10.44 Raw Stendal     elektrische Beleuchtung angebaut
 
Betriebsbögen und Anlagenteil und Aktenstücke:
 
01.05.40 – 31.05.40   abgestellt warten Raw
26.03.45 – 17.06.45   abgestellt bfa
 

 

Zum Abschluß noch ein Hinweis bezüglich der Lokkarten (Werkkarten) der Generaldirektion Ostbahn (Gedob). Sitz der Gedob war Krakau Matejkiplatz 8. Hier und nicht etwa in Lemberg befand sich die Lokkartei. Krakau ist am 19.01.1945 von der Roten Armee besetzt worden, aber am 17. bis 18.01.1945 planmäßig geräumt. Viele Lok-Akten, Betriebsbücher und eben auch Lok- und Werkkarten gelangten in den Westen und finden sich heute im Verkehrsarchiv Nürnberg wieder. Herr Behlau irrt, wenn er von einem wundersamen Vorgang aus Lemberg (ausgerechnet.....) spricht.

Herr Behlau zeigt in seinem DSO-Artikel allerdings keine Werkkarte (diese ist daran erkennbar, dass sie die in den Raw, EAW, OAW ausgeführten Arbeiten dokumentiert), sondern eine Lokkarte, also eine Karte aus der Lokkartei. Zwei verschiedene Paar Schuhe!