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Wenn das dreistöckige Irrenhaus rotiert

Dies ist eine frei erfundene Geschichte. Ähnlichkeiten mit der Realität sind rein zufällig. Nein, so etwas kann gar nicht im Rechtsstaat Deutschland passieren, völlig ausgeschlossen. Und dies ist eine Geschichte, die zum Nachdenken anregen soll. Sie beginnt ganz harmlos und steigert sich ganz so, als ob ein dreistöckiges rundes Irrenhaus wie eine Waschtrommel rotiert. Ihr Ende ist heute, am 23.04.2021 noch völlig offen.

Die Zeit zwischen 10 und 15. April 2021.
Gisela und Alexandra und ich erhalten ständig Anrufe mit unterdrückter Nummer. Es klingelt täglich ohne Ende, der Rufbeantworter springt an, der Anrufer platziert hässlich klingende Töne der unterschiedlichsten Art. Es geht stundenweise so, 20, 30, 40 Anrufe. Ich stelle den Rufbeantworter ab und den Klingelton leise. Schließlich hebe ich ab und höre hinein. Nichts! Restschallpegel so um die minus 50 Dezibel. Sonst nichts! Hier will uns jemand ärgern. Zum Glück ruft der Bösewicht über die Umleitung, das heißt meine alte Nummer aus Eberstadt, die mit 003 beginnt.

Freitag, der 16. April 2021.
Ich erhalte auf meiner Hauptadresse eine Mail. Absender Karlo Punkt Weigel Ädd Wasserphone Punkt De. Nur ein Satz: „Das hier soll ich aus Weimar weiterleiten.“ Dann 14 Bilder, die mich, Gisela und Alexandra neben gut 30 Bauarbeitern im Hintergarten unseres Hauses auf der Baustelle zeigen. Offenbar mit einem starken Teleobjektiv aufgenommen, ganz so wie es die Paparazzi bei Prinzessin Diana einst taten. Hinzu ein Bild des Hauses in der vollen Vorderansicht. Nichts weiter. Ich informiere unseren Rechtsanwalt Doktor Talhoff. Wir unternehmen noch nichts. Eine Fake-Mail. Karlo Weigel heißt mein alter Freund aus Eberstadt. Es ist nicht seine Mailadresse. Was soll das?

Montag, der 19. April 2021.
Ich rufe am Abend in Eberstadt meinen Bekannten Uwe Erfurther an. Den will ich am Folgetag unter anderem in Eberstadt besuchen. Er ist ungewöhnlich kurz angebunden. Nein, an der Haltestelle der Straßenbahn am Grashügel können wir uns nicht wie vereinbart um 15.00 Uhr treffen. Hier könnte uns jemand von den Eberstädter Verkehrsbetrieben vormals EVB, heute SHE/ENPH erkennen. Das möchte er nicht. Wir vereinbaren daher für 15.00 Uhr ein Treffen in seiner Wohnung Brahmsstraße 5. Ich muss hinzufügen, Uwe Erfurter ist in diesem Betrieb Schichtmeister in der Straßenbahnwerkstatt. Ich kenne ihn seit 2008.
Das Unternehmen EVB heißt in der Tat heute SHE/ENPH, was ich sarkastisch mit „Sau Haufen Eberstand / Eberstädter Nissens Plunder Haufen“ übersetze. Nissen heißt der Betriebsleiter, ein alter DDR-SED-Kader wohl auch mit Affinität zur DDR-Staatssicherheit und einem krankhaften Drang nach Geheimhaltung.

Dienstag, der 20. April 2021.
Adolf Schickelgrubers Geburtstag. Aber das ist heute gänzlich unwichtig. Ich treffe pünktlich 11.42 Uhr mit dem Zug in Eberstadt im Bundesland Tillingen ein. Das ist in der vormaligen russischen Zone. Meine neue Heimat Permontes liegt im Bundesland Untersachsen in der vormals britischen Zone. Ich suche meine Nebenwohnung am Grashügel auf. 14.10 Uhr fahre ich in Richtung Oststadt ab. Mit der Straßenbahn. Um 14.46 Uhr bin ich in der Brahmsstraße 5. Ich klingle. Nichts tut sich. Ich klinge wieder und wieder. Nichts tut sich. Ich spaziere mehrmals die Straße auf und ab und klingle erneut. Nach gefühlt hundert Mal gebe ich es 15.15 Uhr auf. Ich bin stocksauer. Ich rufe Alexandra an. Planänderung. Ich fahre mit der Straßenbahn, jetzt sehr voll, von Abstand bei Corona keine Spur, hinauf in die Südstadt, wo Alexandras Freundin wohnt und sich beide jetzt befinden. 18.10 Uhr reisen wir wieder mit dem Zug nach Permontes ab. Pünktlich 22.01 Uhr treffe ich in der neuen Heimat ein. Gisela holt uns vom Bahnhof.
Gisela ist ganz aufgeregt und erzählt. 16.35 Uhr habe über die Umleiter-Rufnummer 003.... Herr Nissen der SHE/ENPH bei ihr angerufen und mich verlangt. Er schlug einen ganz üblen Tonfall an, der an die Nationale Volksarmee der DDR oder ein Verhör bei der Stasi erinnerte. Er verbot mir telefonisch strikt, seinen Betrieb zu kontaktieren, seine Mitarbeiter mit Mails und per Telefon zu belästigen, was ich ständig tun würde. Er meinte, ich lege in Eberstadt ein rowdyhaftes (raudi-haftes) Gesamtverhalten an den Tag. Das hätte er jetzt satt, wie es die gesamte Betriebsleitung satt habe. Er meint ferner, wenn dies nicht sofort aufhöre, dann hätte dies erhebliche straf- und zivilrechtliche Folgen für mich. Gisela knallte verbal zurück und verbot sich derartige Dinge, schon gar telefonisch. Nissen wurde jetzt ihr gegenüber unverschämt und drohte mehrfach. Gisela legte schließlich den Hörer auf. 17.03 Uhr ein zweiter Anruf. Stefanus Tibbel aus dem gleichen Betrieb, Vorgesetzter des Werkstattleiters Straßenbahn Rudolf Dresden und Unterstellter von Nissen. Der Tonfall feiner, der Inhalt gleichlautend und übel. Gisela rief unseren Rechtsanwalt Doktor Talhoff an und fertigte ein Protokoll für ihn aus.

Mittwoch, der 21. April 2021.
Ich rufe 17.30 Uhr Uwe Erfurther in Eberstadt an. Seine Frau ist am Apparat. Als sie sich vergewissert, wer sie anruft, nämlich der Rabulist Walluhn, meint sie schroff, ihr Mann Uwe sei nicht zu sprechen, ich hätte bei ihr nicht wieder anzurufen, das sei für mich verboten, denn dies sei ein Dienstapparat der SHE/ENPH und ich hätte in der Brahmsstraße5 ab sofort Hausverbot. Wie bitte? Dienstapparat? Hausverbot? Die Affen fahren Panzer. Der Sputnik macht piep-piep. Zuletzt – ich habe ihren Mann nicht mehr anzusprechen oder anzuschreiben. Falls ich das nicht einhalte, dann setzt es was und sie ziehen einen Rechtsanwalt bei. Puhhh... Das war ja starker Tobak. Nur warum? Ich habe Uwe Erfurther nichts getan, er war auch immer freundlich zu mir.
Dem war um 14.00 schon etwas voraus gegangen. Am Dienstag, also meinem Reisetag nach Eberstadt hatte ich in meiner Nebenwohnung am Grashügel ein Schreiben des Vermieters Rewo Regionales Wohnen Eberstadt vorgefunden. Man schrieb mir: „Sehr geehrter Herr Ulrich Walluhn. Halten Sie sich am Mittwoch, den 28. April 2021 (es muss dem und nicht den heißen!) zwischen 07.00 Uhr und 16.30 in Ihrer Wohnung persönlich bereit. Ihre Anwesenheit ist zwingend erforderlich. Grund ist eine brandschutztechnische Begehung aller Wohnräume. Wir müssen prüfen, ob Ausstattung und Inhalte der Wohnräume unseren neuen Brandschutzbestimmungen entspricht (es muss heißen entsprechen, Plural) und (vor dem und fehlt ein Komma, es sind zwei Hauptsätze) wir müssen gegebenenfalls mit Ihnen Veränderungen in Ihren Räumen besprechen. Sollten Sie an diesem Tag nicht anwesend sein, so müssen wir Ihnen entstehende Mehrkosten in Rechnung stellen. Mit freundlichen Grüßen und so weiter.“ Ich bekam jetzt einen dicken Hals, einen Treckerreifen wie die Anhalter in Zerbst sagen.
Also, dem war um 14.00 Uhr etwas voraus gegangen. Und zwar dies hier: Ich rufe in Eberstadt bei der Rewo, dem Vermieter meiner Nebenwohnung an. Aber nicht bei der ewig besetzten Hotline (zu deutsch Heißleine) sondern bei einer mir bekannten Nummer in der Führungstage am Georgi-Ring. Am Apparat Herr Böhmerich, mit dem ich schon häufiger die Ehre hatte. Ich schildere die Sachlage und teile ihm mit, daß ich nicht daran denke, wegen einer solchen Sache mitten in der Woche, der 28.04.2021 ist ein Mittwoch, 350 Kilometer mit der Eisenbahn nach Erfurt und wieder 350 Kilometer zurück zu fahren. Und um 07.00 Uhr vor Ort zu sein, müsste ich einen Tag zuvor fahren und in der Nebenwohnung wegen fehlendem Bett auf dem nackten Fußboden übernachten, weil alle Pensionen in Eberstadt wegen Corona geschlossen sind. Das kann die Rewo vergessen. Es entspinnt sich eine eigenwillige teils krude Debatte, die am Ende wie zu erwarten war verbal entgleist. Herr Böhmerich ist zunächst verwundert, warum ich mich nicht in Eberstadt in meiner Wohnung aufhalte. Seit wann und wie lange ich fort sei und wann ich überhaupt in der Wohnung sei, und überhaupt so ginge das nicht, ich könne die Wohnung nicht einfach leer stehen lassen, ich hätte Pflichten als Mieter und so weiter und so weiter. Mein Hinweis, daß ich ordnungsgemäß die Miete zahle und dafür Sorge trage, daß die Wohnung betreut ist und regelmäßig gereinigt und gelüftet wird, interessiert Böhmerich nicht. Er wirft mir Verantwortungslosigkeit vor, ich könne angesichts der Wohnungsnot in Eberstadt nicht einfach wochenlang oder monatelang fort sein. Ich müsse dann folgerichtig die Wohnung räumen und frei machen, immerhin sind es drei Zimmer, also Familienwohnraum, den ich verantwortungslos blockieren würde. Ich traue meinen Ohren kaum. Gisela und Alexandra hören mit und tippen sich mit dem Zeigefinger an die Stirn und verdrehen die Augen zum Himmel. Oh Gott, lieber Gott, vergib deinen verirrten Schafen. Ich erinnere Böhmerich an deutsches Mietrecht. Auch das interessiert ihn einen Teufel, er wird noch deutlicher und meint, er würde jetzt mal Klartext mit mir reden. Und dann der Knaller: „Herr Walluhn, ich sage Ihnen das jetzt ganz offen, Sie sind in Eberstadt unerwünscht. Wie Sie sich seit Jahren benehmen, nicht nur zu uns der Rewo, nein auch zu anderen, zu Behörden und städtischen Einrichtungen, wir wissen das alles, das ist für uns unerträglich geworden. Sie fügen sich nicht in das städtische Leben ein wie es sich gehört, Sie machen was Sie wollen, und vor allem machen Sie nichts als Ärger.“
Ich fasse es nicht. Ich werde laut. Ich erinnere Herrn Böhmerich daran, daß die Ära von Ulbricht und Honecker in Eberstadt seit über 30 Jahren vorbei ist. Es gilt auch in der russischen Zone deutsches Recht, die Rewo kann gern einmal probieren, mich aus dem Dauermietvertrag von 1991 zu drängen oder mich weiter zu schikanieren. Weit wird der Verein damit nicht kommen, denn soviel Rechtsstaat ist noch. Das erinnert mich alles an das Dritte Reich: Wohnungsbegehung, Zimmerkontrolle, Rapport, Meldung, Hände an die Hosennaht, stramme Haltung. Ich mache aus meiner Meinung kein Geheimnis. Mir rutscht das Wort „Judenbude“ aus Viktor Klemperers Tagebüchern heraus. Böhmerich fällt mir ins Wort und meint – Unverschämtheit. Wer hier unverschämt ist, braucht kaum erläutert zu werden. Das Gespräch endet ohne Ergebnis. Gut, dann ist es so. Ich bin am 28.04.2021 nicht in Eberstadt und schon gar nicht von 07.00 Uhr bis 16.30 Uhr zum Stubendurchgang. Ich schreibe ein Gesprächsprotokoll für den Rechtsanwalt. Er muss es dann eben richten und basta. Er wird zunächst der Rewo einen „netten Brief“ schreiben. Ich hoffe, das fruchtet.

Donnerstag, der 22. April 2021.
Ich fahre 08.02 Uhr mit der S-Bahn nach Hammburger-Linden zur Druckerei, die mir einen Karton alter Bilder scannen will. Um 12.00 Uhr bin ich in Permontes zurück. Gisela empfängt mich wieder aufgeregt. Die Polizei war 09.15 Uhr da, sie wollten mich sprechen. Wie bitte?
Es ist 13.10 Uhr. Die Polizei klingelt erneut. Es liegt eine Strafanzeige der SHE/ENPH Eberstadt gegen mich vor. Ich hätte Akten aus der Straßenbahnwerkstatt entwendet. Es handele sich um wichtige Dokumente für Fahrzeuge aus dem Betriebspark, unter anderem drei TÜV-Protokolle der Carimba-Wagen. Ich korrigiere: Man meint wohl HU-Protokolle, also solche für die Hauptuntersuchung, genannt IN 100. Ich fasse mich an den Kopf. Gisela greift zum Telefon und ruft Rechtsanwalt Talhoff herbei. Er trifft 13.35 Uhr bei uns im Haus ein. Die Polizei muss warten, sie schämt sich und versucht sich in Schadensbegrenzung, man müsse dem nachgehen, das wäre eben leider so, man wisse ja wer wir sind uns so weiter. Es tut dem Beamten sichtlich leid. Sie bekommen eine Tasse frischen Kaffee. Der Anwalt nimmt Aktenzeichen und anderes auf. Ich biete an, die Beamten durch das ganze Haus zu führen und ihnen meine gesamte Unterlagensammlung zur Eisenbahngeschichte zu zeigen. Wir gehen durch gefühlt 50 Zimmer, ich öffne Schränke, ziehe Akten aus dem Regal, lasse die beiden Herren hineinschauen. Nach 20 Minuten brechen sie ab. Den Kellerraum 2 habe ich wohlweislich verschlossen gehalten. Hier steht ein Schrank mit alten vor der Vernichtung geretteten Akten der SHE/ENPH aus den Jahren vor 2014, ausschließlich alte Fahrzeuge Typ Tatra und Gotha betreffend. Sehen müssen sie es trotzdem nicht. Die Beamten machen Notizen und gehen wieder. Die gesuchten Protokolle sind nicht hier, ja wie denn auch.
Mein Freund Karlo Weigel klingelt 16.15 Uhr bei uns an. Ich rufe zurück, er hat derzeit ja nur ein Nothandy. Er berichtet verärgert. Um 08.20 Uhr standen Betriebsleiter Nissen mit den Herren Tibbel und Schaltenbrand bei meinem Freund an der Wohnungstür. Schaltenbrand ist gar kein Betriebsangehöriger der SHE, sondern Vorsitzender des Straßenbahnvereins Eberstand e.V. Er sollte wohl als „Sachverständiger“ dienen. Mein Freund Karlo lässt die drei Herren im Flur stehen. Nissen will wissen, welchen Kontakt er zu mir, wörtlich „zum Walluhn“ und später nur noch „Zum Wäh-Punkt“ habe und wo ich mich derzeit aufhalte und und und und und. Nissen führt sich auf wie in einem Stasi-Verhör. Der Rechtsstaat interessiert ihn genauso wenig wie die Gewaltenteilung. Er maßt sich einfach an, James Bond spielen zu dürfen. Mein Freund wird stocksauer und gibt keine Auskunft. Er fordert das illustere Triumvirat (Dreigestirn) auf, das Haus zu verlassen. Anderen Falles würde er die Polizei rufen. Die Herren gehen murrend. Am frühen Nachmittag erstattet er Anzeige bei der Polizei Eberstadt-Nord. Wie richtig! Er berichtet mir, es würden drei Protokolle IN 100, also Hauptuntersuchung in der Werkstatt fehlen. Die Aufsichtsbehörde habe deswegen die drei zugehörigen Fahrzeuge stillgelegt, die jetzt kurz vor der Bundeslandwirtschaftsschau Bula Eberstadt fehlen und dringend gebraucht werden. Na wie fein! Es fehlen schon seit 2014 Fahrzeuge. Unternommen hat seitens der sogenannten Verantwortungsträger niemand etwas. Im Sauhaufen SHE herrscht keine Ordnung mehr, seit man mich 2019 dort gefeuert hatte. Wen wundert es. Ein Betrieb in Melange aus Stasi und Mafia. Totalversagen und Fehlplanung auf ganzer Linie. Wenn man nicht weiterkommt, dann stellt man sich hin und schreit, der Walluhn habe die Akten geklaut. Dies wird ihnen nicht gut bekommen. Anwalt Talhoff macht das schon. Und Geld spielt keine Rolle dabei. Das haben die Herren dummerweise vergessen bei ihrem fiesen Spielchen.

Freitag, der 23. April 2021.
Es ist 05.30 Uhr. Es klingelt im Haus Sturm. Ich stehe verschlafen auf und gehe die Holztreppe vom Dachboden zum Hochparterre hinunter und öffne die Haustür. Draußen am Gartentor stehen 5 Polizeibeamte. Aufmachen, Herr Walluhn, wir haben einen Hausdurchsuchungsbeschluß der Staatsanwaltschaft Hammburger. Sie zeigen mir das Schreiben und stehen schneller als gedacht im Vorflur und dann im Treppenhaus. Gisela und Alexandra sind wach geworden und trauen Ohren und Augen nicht. Den Polizeibeamten ist es sichtlich unangenehm, in die Villa Gisela Ticiani erbaut 1912 im Spätjugendstil eingedrungen zu sein. Gisela klingelt Rechtsanwalt Talhoff aus dem Schlaf. 05.55 Uhr ist er vor Ort. Auch ihm platzt fast der Kragen. Die Herrschaften suchen drei Protokolle der SHE Eberstadt über Hauptuntersuchungen 2020 aber auch diverse Aktenordner. Wie bitte 2020? Die können ja wohl kaum hier bei uns im Haus sein. Seit Ende Juli 2019 habe ich keinerlei Zutritt zu solchen Unterlagen mehr. Sind die Protokolle nach hier geflogen wie ein Zugvogel? Es muss wohl so sein. Zum Glück gehen die Beamten behutsam vor und hauen nicht alles durcheinander. Ich habe Angst, sie könnten meine Rechner und Teile meiner Eisenbahnakten mitnehmen. Zum Glück tritt das nicht ein. Den Schrank im Schaltraum 2 öffnen sie nicht. Fast ein Wunder. Hier lagern haufenweise historische Akten der Straßenbahn Eberstadt, die ich damals nicht in den Schredder gesteckt hatte. Auch das hätte jetzt zum Verhängnis werden können. Gisela verbittet sich einen Griff in ihren Schrank mit der Unterwäsche im Schlafzimmer. Wo bitte leben wir? Gisela und Alexandra debattieren heftig mit dem anwesenden Staatsanwalt aus Hammburger. Er meint, es täte ihm ja leid, aber er müsse seine Pflicht erfüllen und es läge nun mal eine Anzeige vor. Mit Anwalt Talhoff hat er einen lautstarken Schlagabtausch. Welcher Richter habe dies genehmigt? Keine Verhältnismäßigkeit der Mittel. Unschuldsvermutung. Ich bekomme nur Satzfetzen mit.
Die Durchsuchung ist beendet. Ich wende mich an den Staatsanwalt Freuseler. „Herr Staatsanwalt, worum geht es hier wirklich? Ich habe gegen die Nürnberger Rassengesetze vom 15. September 1935 verstoßen und eine Jüdin, eine sogenannte Volljüdin (ich zeige auf Gisela) geheiratet. Ist es das? Gilt das Gesetz jetzt wieder?“ Der Staatanwalt schaut weg, er schämt sich sichtlich. Dann meint er: „Es tut mir leid, mir sind die Hände gebunden, ein Herr Uwe Erfurther habe ausgesagt, ich hätte Unterlagen in der Straßenbahnwerkstatt Eberstadt entwendet und ich hätte sogar ihm gegenüber damit geprahlt. Ich hätte außerdem Herrn Erfurther aufgefordert, weitere Unterlagen für ihn zu stehlen.“ Unser Rechtsanwalt schreitet ein und beantragt noch vor Ort Akteneinsicht. Er meint, er werde beantragen, den sogenannten Zeugen unter Eid zu nehmen. Der Zeuge lügt faustdick. Ich kann mich nicht mehr zurückhalten und rufe laut durchs Treppenhaus: „Hurra, wir haben wieder zwei hohe Feiertage, die einst 1938 Viktor Klemperer richtig erkannte – Maria Denunziata und Mariä Haussuchung. Es lebe das Fünfte Reich!“ Ich strecke den rechten und linken Arm zugleich zum Hitlergruß heraus. Der Staatsanwalt weicht erschrocken zurück. Um 07.15 Uhr ist der Spuk zu Ende. Die Herren verlassen das Haus. Entgegen meiner Bedenken nehmen sie mich nicht mit. Welch Wunder. Als um 07.55 Uhr die Bauarbeiter eintreffen, merken sie nichts von dem, was sich zuvor ereignet hat und an einen bösen Thriller von Alfred Hitchcock erinnert. Wir sitzen noch minutenlang fassungslos im Esszimmer, um 08.15 Uhr gehe ich meine Stadtrunde laufen. Was soll es. Ich will den Kopf frei bekommen.
Am Nachmittag gegen 14.30 Uhr folgt der nächste Hammer. Ich rufe meine Mails ab. Wieder eine Nachricht von Karlo Punkt Weigel Ädd Wasserphone Punkt De. Diesmal mit dem Text: „Schöne Grüße aus Weimar Kegelplatz 5a.“ Und „Wir wissen alles über Dich. Wir machen Dich fertig.“ Kegelplatz 5a ist ein uraltes inzwischen wegen Baufälligkeit abgerissenes Haus am Weimarer Schloß, wo bis 30.03.1991 meine Frau Gisela wohnte. Woher wissen die Absender das? Es folgen zwei Bilder vom Bahnhof Altenwanne, aufgenommen am 20.04.2021 um 07.45 Uhr und 07.48 Uhr auf Bahnsteig 22. Sie zeigen Alexandra und mich wartend auf den IC nach Eberstadt. Woher wussten die Herrschaften, daß ich mit diesem Zug nach Eberstadt fahre? Ein weiteres Bild zeigt mich um 11.23 Uhr in Gothstadt auf dem Bahnsteig beim Lokwechsel. Ich stehe dicht an der Lok und schaue hinauf zum Führerstand. Alle drei Bilder mit Teleobjektiv. Den Fotografen habe ich nicht bemerkt. Er ist uns mit dem Zug nach Eberstadt gefolgt. Was hat er außerdem fotografiert? Ist der Mann ein Privatdetektiv? Wer hat ihn angeheuert? Ist er ein Ex-Stasi-Mann wie 2015 Genosse Heddergott? Ich schreibe ein weiteres Protokoll und leite alles an unseren Rechtsanwalt weiter. Ich rufe ihn erneut um 14.45 Uhr an. Er wird zeitnah handeln. Strafanzeigen, Unterlassungsklagen, Staatsschutz, Amtsgericht, das volle Programm.

Hoch lebe die Staatssicherheit 31 Jahre nach Ende der DDR. Es ist einfach nicht zu fassen. Gott sei dank, daß diese Geschichte nur frei erfunden ist...