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Die Gruppe Weiße Rose gestern und heute

von Ulrich Walluhn, Frontmann der Gruppe „Weiße Rose Erfurt“ in Gedenken an die Geschwister Scholl und das schlechte Gewissen aller Populisten und Parteien.

Am 22-ten Februar vor genau 76 Jahren wurden die studentischen Widerstandskämpfer der Bewegung „Weiße Rose“ (Weiße Rose München) Sophia Magdalena Scholl gemeinsam mit ihrem Bruder Hans Fritz Scholl und ihrem Freund Christoph Hermann Ananda Probst von verbrecherisch-nationalsozialistischen Richtern zum Tode verurteilt und noch am selben Tag hingerichtet. „So ein herrlicher Tag, und ich soll gehen. Aber was liegt an unserem Leben, wenn wir es damit schaffen, Tausende von Menschen aufzurütteln und wachzurütteln.“ so Sophie Scholl am Tag ihrer Hinrichtung. Und Vater Scholl sagte in der Zelle zu seinen Kindern: „Ich bin stolz auf euch.“

Am historisch belasteten 20-ten April 2016 habe ich mit einer kleinen Gruppe die „Weiße Rose Erfurt“ gegründet und diesen Tag zum Tag der Weißen Rose ernannt. Vor dem Mut und der Standhaftigkeit der Geschwister Scholl und ihrer Freunde kann ich nur den Hut ziehen und auf die Knie fallen. Ich weiß nicht, ob ich je den Mut zu solchem Widerstand hätte.

Was würden Sophie und Hans Scholl denken, sagen und schreiben, wenn sie hier und heute unter uns wären?

Fast 3 Jahre lang haben wir uns darauf beschränkt, das schlechte Gewissen aller Rechtspopulisten, Rechtsextremen, Rassisten, und Ultra-Nationalisten, aller Antijudaisten, Antisemiten, Antiislamisten und ähnlicher menschenrechtsverachtender Gruppierungen zu sein. Doch dies genügt nicht mehr. Nein, es genügt nicht mehr, mit dem Finger auf diese Gruppen zu zeigen, es muß mehr sein. Weit mehr.

Die politische Kultur der Landeshauptstadt Erfurt ist auf ein Niveau gefallen, daß ich nur mehr skandalös nennen kann. Ich berichtete bereits in meinem beiden Artikeln zum Kastenwesen der sogenannten etablierten Parteien und zu den Nichtwählern über die unhaltbaren Zustände im Erfurter Stadtrat und das zugehörige Klima. Auf meine Schreiben hat bis heute niemand, ich wiederhole niemand, geantwortet. Dies ist völlige Geringschätzung nicht nur mir persönlich, sondern der gesamten Gruppe Weiße Rose gegenüber. Was würden Sophie und Hans Scholl denken, sagen und schreiben, wenn sie dies erleben täten? Dies ist machtarrogantes, abgehobenes Verhalten und Gehabe, dies ist bürgerfeindlich und unhöflich in höchstem Maße. Dies ist undemokratisch und das Fundament einer neuen Diktatur.

Unter dem Motto „Erfurt retten, ab in den Widerstand!“ mobilisiert die rechtsextreme Partei „Der III. Weg“ um Michel Fischer, Enrico Biczysko und weitere Akteure innerhalb der kommenden 12 Wochen zu einem Aufmarsch und 6 Kundgebungen in Erfurt. Kundgebungen sind angekündigt für: die Vilniuspassage am 10.03.2019, den Berliner Platz am 22.03.2019, den Drosselberg am 05.04.2019, das Angerdreieck am 19.04.2019, den Wiesenhügel am 27.04.2019, und den Fischmarkt am 25.05.2019. Der große Aufmarsch in Erfurt wird für den 24.03.2019 um 11.00 Uhr angekündigt. Hinzu kommen ab 01.05.2019 Wahlkampfveranstaltungen in Form von teils großen Straßendemos der AFD mindestens einmal monatlich.

Der rechte Mob marschiert mit ruhig-festem SA-Schritt durch die Stadt. Und die Eliten haben nichts anderes zu tun, als politisch mißliebige Geister wie mich mundtot zu halten und sich mit sich selbst und ihrer sogenannten Karriere zu beschäftigen. Listenplätze für die kommende Wahl dominieren jetzt alles. Dabei scheint ihnen nicht klar zu sein, daß sie damit Teil des Problems anstatt der Lösung werden und Mitschuld auf sich laden. Und zwar erhebliche Mitschuld. Es scheint leider abermals so, daß das Kind erst wieder im Brunnen liegen muß, ehe ein Umdenken einsetzt und Arroganz und Borniertheit sich in Wohlgefallen auflösen.

Das Kind könnte im Brunnen liegen, wenn die Wahlergebnisse im Herbst 2019 vorliegen. Etwa so: AFD 36 Prozent, CDU 25 Prozent, Linke 12 Prozent, SPD 11 Prozent, Grüne 9 Prozent, FDP-Freie Wähler-Piraten 6 Prozent, Sonstige 1 Prozent. Was dann? CDU und Linke können nicht miteinander. CDU, SPD und Grüne kommen nur auf 45 Prozent, mit FDP und Co. auf 51 Prozent. Eine Vier-Parteien-Regierung mit hauchdünner Mehrheit? Oder doch CDU mit AFD bei satten 61 Prozent? Mike Mohring beschwört bis heute, dies würde es nicht geben. Würde es das nicht? Ich wäre mir nicht sicher. Wenn die Sicherungen durchbrennen, haben wir den zweiten Mustergau Thüringen seit 1932. Damals Gauleiter Fritz Sauckel, dann Gauleiter Bernd Höcke?

Meine Damen und Herren, ich habe verstanden, in der Politik der Stadt Erfurt als persona non grata zu gelten. Keine Antworten zu geben, sind auch gegebene Antworten. Und in meinem Falle gar der Adelsschlag, nicht dazugehören zu dürfen, keinesfalls dazugehören oder gar sich artikulieren zu dürfen. Damit kann ich mich in die Reihen mutiger Menschen, wie der Geschwister May und anderer Bürgerrechtler von 1989 stellen. Der Vorwurf einer Mitschuld trifft mich dann nicht. Woran mich dies erinnert? An die DDR um 1987/1988. Ihr Gesamtverhalten mir gegenüber zeigt auch, wie Sie zur Weißen Rose Erfurt stehen. Schweigend. Doch wer schweigt, der bleibt nicht ohne Schuld und ohne Last. Darüber gilt nachzudenken.

Meine Damen und Herren, die Gruppe Weiße Rose Erfurt ist auch nicht der nützliche Idiot, der sich dem rechten Mob in den Weg stellt, dabei nicht selten Ärger aller Art und sogar Schläge riskiert, während die Eliten in der Stube bleiben und nichts riskieren, aber anschließend damit tönen, welchen wichtigen Beitrag sie doch zum Widerstand gegen Rechts geleistet haben. Welcher Zynismus.

Ich möchte alle Menschen, die nicht mehr wählen gehen wollen, dringend dazu auffordern, ins Wahllokal zu gehen und eine ungültige Stimme abzugeben, das heißt alles durchzustreichen und vielleicht zu kommentieren. Letzteres hinterläßt Wirkung bei der Wahlkommission. Denn wer gar nicht abstimmt, wählt indirekt alle Parteien mit.

Mit sehr nachdenklichem Gruß.
Ulrich Walluhn