50 Jahre Dampflok-Forschung und Sammlung Ulrich Walluhn

13. August 1968 bis 13. August 2018 – 50 Jahre Dampflok-Forschung und Sammlung Ulrich Walluhn

Am 13. August diesen Jahres jährt sich zum 50-sten Male der Gründungstag meiner lokomotivgeschichtlichen Forschungen. Natürlich habe ich mich auch bereits vor dem 13.08.1968 mit Eisenbahn und Lokomotiven beschäftigt, ich habe diesen Tag aber deshalb gezielt ausgewählt, weil er der Tag war, als ich mit meinen 9 Lebensjahren die erste Lokomotiv-Sichtungsliste schrieb.

2008 gab es bereits ein 40-jähriges Jubiläum mit einer kleinen Feierstunde unter Freunden. Das wird sich jetzt wiederholen. 50 Jahre sind (mehr als) ein halbes Menschenleben.

Am Abend des genannten Tages mitten in den Ereignissen der „Prager Frühlings“ startete die große Urlaubsreise von Erfurt zum Ferienort Wustrow auf dem Darß an der Ostsee. Mein Vater (damals 45) und meine Mutter (damals 42) waren schon vorher einige Male mit mir zur Ostsee gereist, aber diesmal sollte es etwas ganz besonderes sein. In den Jahren zuvor hatte ich mich mit der damals in der DDR erhältlichen Lokomotiv-Literatur beschäftigt. Diese war dürftig und bestand in erster Linie aus diversen Modellbahn-Herstellerkatalogen der Nenngrößen HO (Piko Sonneberg) und TT (Tillich Berlin). Hier lernte ich bereits als Erstklässler 1965/1966 etwa die Baureihen 50, 42, 24, 64, 80, 81 aber auch die 23.10 kennen. Von irgendwoher bekam ich wenig später auch Listen und Informationen mit und zu den Baureihen 01 bis 99. Ich weiß nicht, ob es Karl-Ernst Madels „Dampflokomotiven gestern und heute“ gewesen ist (dieses Buch bekam ich 1976 als „Oberprimaner“ wieder in die Hand, als ich mit meinem Erkenntnisstand bedeutend weiter war), ich denke aber schon. Es muss eine frühe Ausgabe des „Maedel“ gewesen sein. Ich begann von den Lokomotiven Seitenansichten zu erstellen. So sammelte sich binnen weniger Jahre eine dicke Mappe mit Zeichnungen, die ich auf „Kästenchenpapier“ und mittels farbiger Kugelschreiber aus dem „Westen“ angefertigt hatte und ständig ergänzte. Es muss auch schon 1968, spätestens 1969 gewesen sein, als ich die ersten alten Lokpostkarten der Verlage Pallas Jena und Leonhardt Dresden in die Hände bekam und auch diese fleißig abzeichnete. Schnell wurde ich auch mit sächsischen und preußischen Länderbahn-Bauarten kundig. Nur wunderte ich mich immer wieder, welch „seltsame Sonderbauarten“ auf einigen Karten abgebildet waren. Die tieferen Zusammenhänge und Hintergründe verstand ich freilich erst in späteren Lebensjahren.

Der Eisenbahn-Virus hatte mich auf alle Fälle vollständig erwischt. Und nie wieder losgelassen.

Zurück zum Gründungstag, dem 13. August 1968. Ausgerechnet der Tag des Mauerbaues von 1961. Damals (1961) war ich 2 Jahre und 6 Monate alt, und meine Mutter erzählte mir später, dass ich weinend in der Ecke saß und meinte, nun bekämen wir keine Pakete aus dem Westen mehr. Zum Glück trat dieses Szenario nicht ein und die duftenden Pakete aus dem „Westen“ trafen weiterhin ein. Die Welt war gerettet. In ihnen natürlich auch meine Buntstifte, Faserschreiber und Kugelschreiberminen in aber-dutzend verschiedenen Farben, wie es sie in der DDR nie und nimmer zu kaufen gab.

Am Abend des 13.08.1968 traten wir wie schon erwähnt unsere Ferienreise nach Wustrow auf dem Darß an. Natürlich mit der Eisenbahn. Mein Vater arbeitete als Fernmeldeingenieur bei der Reichsbahndirektion Erfurt und besaß eine Freifahrkarte erster Klasse. Besser konnte es für mich gar nicht sein. Wir fuhren zunächst nach Leipzig Hauptbahnhof, um dort einen Nachtschnellzug nach Stralsund zu besteigen, der einen Liegewagen führte. Es ließ sich also prima schlafen. Von der Reise Leipzig-Stralsund habe ich außer einem kurzen Ausstieg in Berlin-Lichtenberg daher auch fast garnichts mitbekommen. Zwischen Greifswald und Stralsund wurde ich wach. Noch heute erinnere ich mich an den beginnenden Tag und den Blick aus dem Fenster. Ich sah die Telegrafendrähte auf und ab schwingen, gepaart mit immer wieder neuen Abdampfwolken unserer Zuglok. Ab und an pfiff sie laut. Der Liegewagen befand sich seit Berlin unmittelbar hinter ihr. Unvergesslich ist auch der typische Geruch der Lok, obwohl sie eine Ölfeuerung hatte (03 1019). Von Stralsund aus ging es schließlich weiter bis Ribnitz-Damgarten West und von dort mit einem Werdauer H6-Bus (den ich bezüglich Aussehen und innerem Geruch von Erfurt gut kannte) nach Wustrow.

Am 21. August 1968 schlugen sowjetrussische Truppen den Prager Frühling nieder. Wir hörten Radio. Ich verstand als 9-jähriger Schulbub die Zusammenhänge nicht. Ich fragte meine Mutter ängstlich: „Ist nun Krieg?“ Sie beruhigte mich: „Nein mein Junge, es ist kein Krieg“, obwohl damals nicht klar war, wie diese Sache politisch ausging. Es stand bekanntlich alles auf „Messers Schneide“.

Am 28. August 1968 traten wir unsere Heimreise an. Es ging von Wustrow mit dem Bus nach Ribnitz-Damgarten West und dann mit dem Zug nach Stralsund. Hier haben wir fast einen ganzen Tag in der Stadt, aber auch etliche Stunden auf dem Bahnhof verbracht. Am späten Nachmittag durfte ich mit Vaters Leica-Kleinbildkamera ausnahmsweise drei Lokomotiven fotografieren, was auch sehr gut gelang: 23 1027 Bw Pasewalk, 03 297 Bw Pasewalk und 03 1046 Bw Stralsund, welche später auch unseren Heimfahrtzug nach Erfurt bespannte. Dieser Zug hatte viele Jahre später etwas schicksalshaftes für mich. Wegen seiner Abfahrt um 20 Uhr 15 in Stralsund nannte ich ihn ab 1977 den Tagesschau-Zug. Er – der D sowieso Stralsund-Eisenach – hat mich dutzende Male während meines Militärdienstes bei der NVA in Prora auf Rügen nach Hause gebracht. Als ich es mir im zweiten Dienstjahr leisten konnte, fuhr auch ich erster Klasse.

Die Rückfahrt Stralsund-Erfurt am 28.08.1968 habe ich nicht mehr in Erinnerung. Ich dürfte die meiste Zeit selig geschlafen haben. Dunkel habe ich die Reste der Mecklenburg-Pommerschen Schmalspurbahn auf dem Bahnhof zu Anklam im Kopf. Aber mehr nicht.

Am 13.08.1968 und 28.08.1968 entstanden meine ersten Lokomotiv-Tagebuch-Aufzeichnungen. Hunderte folgten, und das Aufschreiben von Lokomotiven, die mir begegnet sind, habe ich erst Ende der 1990-er Jahre eingestellt, also die Bw-Namen und Lok-Nummer nicht mehr richtig lesbar waren und auf den verbliebenen Strecken kaum mehr interessante Fahrzeuge liefen. Aus der Hoch-Zeit meiner Fotografie von 1984 bis 1990 liegen solche Aufschreibungen in der Dicke mehrerer Aktenordner vor. Ich werde Auszüge aus ihnen hier im Forum einstellen. Man glaubt gar nicht, wie interessant diese Zeiten waren und wie viel schon heute davon in Vergessenheit geraten ist.

Nun das Protokoll meiner Reisen vom 13. und 28. August 1968:
Ich habe damals nur Dampflokomotiven notiert und nur insoweit sie für mich klar erkennbar waren.

13.08.1968 Erfurt Hauptbahnhof abends: Mit dem D-Zug nach Leipzig Hauptbahnhof (Erster Klasse)
 
01 530  Bw Erfurt-P         steht am Wasserkran Höhe Bahnsteig 1 und wartet
                            auf ihren D-Zug nach Bebra
44 109  Bw Eisenach         Durchfahrt mit langem G-Zug Richtung Neudieten-
                            dorf (Lok hat preußischen P10-Tender) und läuft
                            Tender voran
38 1635 Bw Erfurt-P         rangiert im Personenbahnhof
44 1040 Bw Sangerhausen     warm abgestellt am Bw Erfurt-P
44 1151 Bw Erfurt-P         warm abgestellt am Bw Erfurt-P
01 533  Bw Erfurt-P         warm abgestellt am Bw Erfurt-P
38 2911 Bw Sangerhausen     nimmt Wasser in Höhe Bw Erfurt-P
38 2603 Bw Gotha            abgestellt am Kohlebansen Bw Erfurt-P
Hinter dem Bw stehen zahlreiche Lok abgestellt (38, 44, 22 u.a.).
56 2222 Bw Erfurt-P         rangiert am Ablaufberg an der Henne
 
13.08.1968 Naumburg Hauptbahnhof:
 
38 1470 Bw Naumburg         wartet mit Personenzug
 
13.08.1968 Bahnhof Großkorbetha:
 
52 192  Bw Engelsdorf       Einfahrt mit G-Zug aus Richtung Teuchern
 
13.08.1968 Leipzig Hauptbahnhof: Umsteigen in D-Zug nach Stralsund bespannt mit V180
 
41 078  Bw Saalfeld        mit Personenzug nach Gera oder Saalfeld
 
14.08.1968 Berlin-Lichtenberg: kurz nach Mitternacht
 
42 1791 Bw Pasewalk        rangiert im hinteren Bahnhofsteil
03 1019 Bw Stralsund       übernimmt unseren D-Zug nach Stralsund
 
14.08.1968 Stralsund (Hauptbahnhof): Umsteigen in P-Zug nach Rignitz-Damgarten West
 
38 2951 Bw Stralsund       am Personenzug nach Rostock
41 067  Bw Neubrandenburg  mit Personenzug im Bahnhof wartend
 
28.08.1968 Ribnitz-Damgarten West:
 
38 2951 Bw Stralsund       am Personenzug nach Rostock
03 1046 Bw Stralsund       am D-Zug nach Leipzig über Rostock (er besteht
                           ausschließlich aus Doppelstockwagen!)
38 3136 Bw Stralsund       am Personenzug nach Stralsund
 
28.08.1968 Velgast:
 
91 6487 Bw Barth          warm abgestellt am Lokschuppen
 
28.08.1968 Stralsund (Hauptbahnhof):
 
03 297  Bw Pasewalk      am Personenzug nach Pasewalk
23 1027 Bw Pasewalk      am Personenzug aus Pasewalk, dann zum Bw fahrend
52 2632 Bw Stralsund     Durchfahrt mit G-Zug Richtung Rostock
03 1074 Bw Stralsund     mit D-Zug nach Berlin ausfahrend
03 1057 Bw Stralsund     am D-Zug Stralsund-Eisenach